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Die USA müssen Assad eine Lektion erteilen

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Im Roman „Im Westen nichts Neues“ kommt der Ich-Erzähler von der Hölle der Westfront auf Heimaturlaub und muss sich anhören, wie seine ehemaligen Lehrer und andere Besserwisser aus sicherer Entfernung über die Notwendigkeit verstärkter Anstrengung schwadronieren, auf dass der Endsieg in diesem gerechten Krieg errungen werde. Mir ist es – auch – darum immer ein wenig unangenehm, als Lehnsesselmaulheld militärische Aktionen zu fordern oder zu begrüßen.

Den Preis für meinen Bellizismus zahlen dann andere.

Freilich zahlen auch andere den Preis für meinen Pazifismus.

Bislang haben sich alle westlichen Mächte aus dem Syrienkonflikt herausgehalten. Bislang haben 100.000 Syrer dafür mit ihrem Leben bezahlt.

Ob es möglich gewesen wäre, diese Opfer durch ein rechtzeitiges Eingreifen zu verhindern oder wenigstens zu verringern, weiß ich nicht. Ich war und bin skeptisch. Aber nach dem  Chemiewaffeneinsatz Baschar al-Assads stellt sich die Frage einer militärischen Antwort  mit neuer Dringlichkeit. Die Vorstellung, hierbei stünden sich humanistische und verantwortungsvolle Friedenspolitiker blutrünstigen und verantwortungslosen Kriegsbefürwortern gegenüber, ist allzu wohlfeil.

Betrachten wir die Sache möglichst nicht aus einem moralischen Blickwinkel. 1400 Tote sind schlimm. Aber es sind eben nur 1400 von über 100.000. Durch unser bisheriges Abseitsstehen haben wir das Recht verwirkt, unsere moralische Empörung als Begründung für ein Eingreifen zu nehmen. Fragen wir, ob der Westen hier Interessen hat, was sie sind, und wie sie durchzusetzen wären.

Zunächst geht es darum, Assads Chemiewaffen unschädlich zu machen. Nicht nur – nicht einmal in erster Linie – mit Rücksicht auf kommende Opfer, oder gar um die bisherigen Opfer zu rächen. Sondern weil sie in Assads Hand schon mal sehr gefährlich sind, aber bei seinem Sturz in noch gefährlichere Hände geraten könnten. Etwa in die der schiitischen Hisbollah im Libanon oder in die der sunnitischen Al Qaida-Kämpfer im Grenzgebiet zum Irak.

Es besteht kein Grund zur Annahme, diese Leute würden diese Massenvernichtungswaffen nur gegen ihre örtlichen Feinde – besonders Israel – verwenden.

Ich habe jedoch keine Ahnung, ob es militärisch möglich wäre, Assads Chemiewaffen zu zerstören, sei es durch einen Bombenangriff, sei es durch eine Kommando-Aktion, wie sie die CIA gegenwärtig zusammen mit jordanischen Spezialkräften übt, und die IDF wohl ausführen könnte. Und ich habe keine Ahnung, mit wie vielen Toten man dabei im worst case scenario rechnen muss. Israel hat – darauf sollte man gerade jetzt immer wieder hinweisen – bereits 2007 zum Glück den Atomreaktor zerstört, den Assad benutzen wollte, um sich mit Atomwaffen auszustatten und damit unverwundbar zu machen, aber die Aktion war verhältnismäßig einfach im Vergleich zu dem Versuch, Granaten und Raketen mit Nervengas einzusammeln.

Am besten wäre es, man könnte Assad dazu bringen, seine Massenvernichtungswaffen abzugeben. Man sage nicht, dass dies unmöglich wäre. 2003, nach dem Sturz Saddam Husseins, haben nicht nur die Iraner Verhandlungen über ihr Atomprogramm angeboten; Muammar al-Gaddafi hat sein Atomprogramm, von dem der Westen bis dahin nichts wusste, offen gelegt und unter amerikanischer Aufsicht demontieren lassen. Für diesen Dienst hat ihn der Westen schlecht belohnt, und Assad wird Gaddafis Schicksal aufmerksam verfolgt haben. Er wird nur dann zu einem Deal bereit sein, wenn es ihm erheblich schlechter geht als jetzt.

Neben der Sorge um die Weiterverbreitung chemischer Waffen geht es um den Schutz unbeteiligter Zivilisten. Nicht so sehr, weil uns das gut ansteht und wegen unserer humanen Ideale usw.; sondern in  der Hoffnung, uns dadurch einige Dankbarkeit im Syrien der Zukunft zu sichern. Im Augenblick jedenfalls herrscht Erbitterung gegen den Westen vor. Man mag das als ungerecht empfinden: Schließlich haben wir nicht das Assad-Regime ermuntert, seine eigene Bevölkerung abzuschlachten. Aber viele Syrer fragen sich nicht völlig zu Unrecht, weshalb uns der Schutz der Rebellen in Bengasi ein Krieg wert war, der Schutz der Rebellen in Aleppo jedoch nicht.

Ich weiß nicht, wie gut die von einigen Kommentatoren empfohlene Flugverbotszone funktionieren würde, die den vielen Flüchtlingen einen Rückzugsort  garantieren und zugleich die Schwäche Assads demonstrieren würde, so jedenfalls das Kalkül. Assad besitzt aber nicht nur Kampfjets, sondern dank den Russen auch moderne Flugabwehrraketen. Der Abschuss einiger Flugzeuge der USA – oder der Franzosen, wenn sie nach dem Absprung der Briten mitmachen – könnte entweder einen Umschwung der öffentlichen Meinung gegen ein weiteres Engagement bringen,  oder aber zu Forderungen nach einer Ausdehnung der Flugverbotszone oder nach Vergeltungsangriffen auf Assads Raketenbasen oder Kommandozentralen und so weiter führen. Kurzum: ein längeres Engagement, selbst ohne „boots on the ground“, was niemand ernsthaft erwägt, birgt die Gefahr von „mission creep“, wie es im amerikanische Slang heißt: der langsamen Veränderung des Zieles und der Wirkung des Einsatzes. Deshalb glaube ich weder, dass Präsident Barack Obama die Errichtung von Flugverbotszonen ankündigen wird, noch, dass er das sollte.

Die Ziele einer Militäraktion müssen sehr begrenzt sein: Assad zu bestrafen, zu schwächen und an den Verhandlungstisch zu zwingen. In der Reihenfolge. Denn es scheint klar, dass der Bürgerkrieg nur beendet werden kann, indem die verschiedenen Bürgerkriegsparteien – Alawiten, Christen, Sunniten, Kurden, um nur die wichtigsten zu nennen – eine Verhandlungslösung finden, und sei es, dass der Staat aufgeteilt wird, wie ich das hier vor einigen Wochen vorgeschlagen habe. Assad wird aber nicht verhandeln, so lange er glaubt, den Krieg doch noch gewinnen zu können. Er ist bereit, Hunderttausende zu töten, wenn es sein muss, um seine Macht zu behaupten. Auch deshalb, weil er befürchten muss, entweder von Aufständischen vor Gericht gestellt oder von den eigenen Militärs ermordet zu werden, wenn er die Zügel der Macht aus der Hand gibt.

Nun weiß ich nicht, welche Militäraktionen bei einem Minimum an zivilen Opfern ein Maximum an Schmerz dem Assad-Regime beibringen können. Hier gibt es viele Unwägbarkeiten, und wer wie ich die Protokolle der Beratungen zu Zeiten der Raketenkrise um Kuba 1962 studiert hat, wird den Versicherungen der Militärs, sie könnten mit „chirurgischen Angriffen“ den Gegner unschädlich machen, mit gebührender Skepsis begegnen. Hätte John F. Kennedy seine Militärs nicht gebremst, sie hätten vermutlich die Welt in einen Atomkrieg gestürzt. Ich gehe dennoch davon aus, dass die amerikanischen Militärs, sollten sie sich für eine militärische Antwort auf Assads Giftgasprovokation entscheiden, am Ende – zumal in Rücksprache mit dem glücklicherweise zu Vorsicht neigenden Generalstabschef und dem ohnehin skeptischen und zögerlichen Präsidenten – eine angemessene Option wählen werden. Wobei „angemessen“ nicht bedeutet: auf jeden Fall wirksam und erfolgreich.

Denn es ist klar: Alle militärischen Optionen entfalten ihre eigene, schwer vorherzusehende Dynamik.

Das gilt freilich auch für die Option des Nichtstuns.

Und eine Folge des Nichtstuns dürfte relativ klar sein: Das Ansehen der USA und des gesamten Westens in der Region wird gegen Null sinken. Wobei ich unter Ansehen nicht Freundschaft meine. Sondern Respekt. Oder, um es noch deutlicher zu sagen: Furcht. „Oderint dum metuant“ ist das notwendige Motto jeder Ordnungsmacht. Wer um jeden Preis geliebt werden will, sollte weder Lehrer noch Staatsmann werden.

Nun behaupten manche Leute, dass Amerika gerade wegen seiner jahrzehntelangen Einmischung in der Region, insbesondere wegen seiner Unterstützung Israels, gehasst wird. Freilich ist es immer noch besser, gehasst und gefürchtet zu werden, als geliebt und verachtet. Jimmy Carter etwa wollte geliebt werden und Amerikas Außenpolitik nach moralischen Maßstäben ausrichten. Den moralisch kompromittierten Schah von Persien ließ er wie eine heiße Kastanie fallen. Und was war das Ergebnis? Das revolutionäre schiitische Regime in Teheran besetzte die US-Botschaft in Teheran und demütigte Carter in den Augen der Welt. Barack Obama hat dem Iran die Hand ausgestreckt; das Regime hat sie ignoriert. Er hat zugelassen, dass der US-Verbündete Mubarak gestürzt wurde und hat dem Moslembruder Mursi die Hand ausgestreckt. Nun beschuldigen ihn die Militärs des Verrates, während die Muslimbrüder dennoch überzeugt sind, die USA stünden hinter dem Militärputsch. Obama hat in seiner ersten Amtszeit wiederholt Israel kritisiert und Netanyahu brüskiert.Er hat zugelassen, dass der Jemen und der Sinai zum Tummelplatz von Terroristen geworden sind; er hat Irak dem Bürgerkrieg und wird Afghanistan den Taliban überlassen. Und was hat er davon? Ist der Hass gegen die USA kleiner geworden?

Obama hat dem Regime in Damaskus ein klares Signal gesendet: Der Einsatz von Massenvernichtungswaffen wäre eine „rote Linie“. Sprich: so lange ihr diese Linie nicht überschreitet, könnte ihr im Grunde genommen mit eurer Bevölkerung machen, was ihr wollt. Mit dem Ergebnis, dass Assad nun Massenvernichtungswaffen gegen sein Volk einsetzt. Obama kann natürlich auch diese Demütigung schlucken; nur muss man in Europa nicht denken, dass die Folgen nur Obama betreffen werden. Zuallererst wird die amerikanische Schwäche im Iran registriert, dessen Regime auch vor der Frage steht, ob es eine „rote Linie“ überschreiten soll: die Produktion waffenfähigen Plutoniums und seinen Einbau in eine Rakete.

Die USA sind – ob das ihnen gefällt oder nicht – nach wie vor der Weltpolizist. Geben sie diese Rolle aus der hand, gibt es einfach keine Polizei mehr. Dass die Bürger ohne Polizisten sicherer sind, glauben zwar Anarchisten; aber sie sind zum Glück eine winzige Minderheit.

Wir Deutschen werden ohnehin in der Region nicht ernst genommen. Man sagt zwar von  allen Seiten – von wirklich allen Seiten – unseren Diplomaten und Händlern, dass man uns (im Gegensatz zu den Briten, Franzosen und Amerikanern) mag, schätzt, ja bewundert. Aber hört man auf uns? Warum sollte man das?

Der von vielen Deutschen geteilte Glaube, man achte uns in der Region, weil wir so unkriegerisch sind  und im Gegensatz zu den Amerikanern bescheiden auftreten, zeugt letztlich von einem gar nicht so subtilen Rassismus: als seien die Araber und Iraner Kinder, die man mit ein wenig pädagogischem und didaktischem Geschick schon für sich gewinnen könne. Was übrigens auch bei Kindern nicht so einfach funktioniert.

Nein, die Spieler im Nahen Osten haben ihre eigene Agenda. Unsere Wünsche und Ideale, unsere Zustimmung oder Ablehnung sind ihnen ziemlich schnuppe, so lange diese Wünsche und Ideale nicht ihrerseits als Machfaktor in Erscheinung treten; und das heißt – auch – militärisch. Assad sondiert gerade – nicht zuletzt im Auftrag seiner Hintermänner in Teheran – die Grenzen amerikanischer Geduld. Obama muss beweisen, dass seine Geduld nicht grenzenlos ist.

 


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